Zürichsee-Zeitung / Interview: Christian Dietz-Saluz  (Erstellt: 27.11.2016, 17:59 Uhr)

Diese Frau hat mehr als einen Vogel

Die Voliere am Mythenquai in Zürich ist viel mehr als nur ein Vogelzoo. Dort werden auch verletzte Tiere gepflegt und ausgewildert. Das sei die wichtigste Aufgabe, sagt die Präsidentin der Voliere-Gesellschaft Zürich, die Meilemerin Sylvia Steiger. Denn für sie gehören Vögel in die Freiheit.

Hat Ihnen schon jemand gesagt «Du hast ja einen Vogel»?

Sylvia Steiger: (lacht) Sicher, hier habe ich sogar sehr viele Vögel. Auch im Zusammenhang mit meinem Amt in der Voliere-Gesellschaft Zürich habe ich das schon gehört. Wenn man die Arbeitsmenge ansieht, habe ich mir manchmal selber gedacht: Da hast du dir was angetan!

Wie gross ist Ihr Einsatz?
Im Moment entspricht das Präsidium einem 40-Prozent-Job.

Was ist Ihre Aufgabe als Präsidentin der Voliere-Gesellschaft?
Derzeit führe ich noch einen Teil der Geschäftsführung nach, dazu kommen Buchhaltung, Fundraising, Marketing, Bewilligungen einholen oder verlängern und Unterstützung jeglicher Art suchen. Insbesondere suchen wir dringend neue Vorstandsmitglieder für diese vakanten Ressorts.

Die Meilemerin Sylvia Steiger engagiert sich als Präsidentin der Voliere-Gesellschaft Zürich für verletzte oder ausgesetzte exotische Vögel und Zuchtvögel. Der Tukan ist das Maskottchen der Wildvogel-Pflegestation. Bild: Michael Trost

 

Lohnt sich das Engagement?
Unbedingt, die Leute hier stehen unter Druck und arbeiten dennoch mit Begeisterung – und bis auf 150 Stellenprozent ehrenamtlich. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen wegen der tiefen Löhne. Es ist schwierig freiwillige Helfer zu finden für Vögel, weil es vor allem ums Putzen der Anlage geht. Da kommt man kaum in Kontakt mit den Tieren, wie man das vielleicht hofft. Dafür sind aber unsere Spezialisten zuständig.

Die Voliere budgetiert 2016 fast 200 000 Franken Aufwand. Woher kommt das Geld?
Die grösste Herausforderung ist es, an Stiftungsgelder, Geld von diversen Insitutionen zu kommen. Wir sind extrem auf Spendengelder angewiesen. Auch unsere Patenschaftsaktion «Ich han au en Vogel» für einen Mindestbeitrag von 20 Franken im Monat ist wichtig, damit das Futter und die Betreuung unserer Schützlinge gewährleistet ist. Und ich will den beiden Mitarbeitern einen fairen Lohn zahlen. 150 Stellenprozent für 365 Tage sind wenig. Mehr lässt das Budget nicht zu. Die Stiftung für Tierschutz und Ethik ProTier unterstützen uns grosszügig, ebenso der Zürcher Tierschutz. Aber auch diese Organisationen leben von Spenden.

Welche Beziehung haben Sie zu den Vögeln?
Als Kind hatte ich Sittiche, später waren es Kakadus. Für mich gehören Vögel zuerst in die Freiheit. Das deckt sich mit einem unserer Aufträge: Pflegefälle aufzupäppeln und später wieder freizulassen. Wir haben sogar eine Vogelklappe, schon länger als es Babyklappen in der Schweiz gibt.

Werden darin Vögel abgelegt?
Das passiert regelmässig. Es sind nicht nur Wildvögel, sondern auch Zuchtvögel und Exoten

Wie wird eine Meilemerin Präsidentin der Voliere Zürich?
Ich kannte die Voliere schon als Kind. Das hat mich geprägt. Zum Amt bin ich durch Zufall gekommen. Mein Mann ist Stiftungsratspräsident von Pro Tier und erfuhr, dass die Voliere Unterstützung braucht. Also habe ich sie mir angeschaut und da wurden gerade neue Pflegetiere geliefert. Darunter war ein Vogel, dem aus Versehen die Flügel gestutzt wurden. Das hat mir fast das Herz gebrochen. Bis zum Präsidium war es dann nicht mehr weit, vor allem, weil mir das Engagement des Voliereteams imponiert. Irgendwann packt einen der Volieren-Geist, der ist ansteckend. Die Menschen arbeiten hier zum Teil wie Sozialarbeiter.

Wühlt Sie Schutzbedürftigkeit auch bei Menschen auf?
Natürlich, sonst hätte ich nicht lange im Sozialwesen gearbeitet. Der Unterschied ist: Wenn ein Mensch Probleme hat, gibt man ihm oft selbst die Schuld. Bei Tieren akzeptiert man viel als Natur, wenn es ihnen schlecht geht.

Was trennt soziales Engagement von Tierliebe?
Menschen sollte Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden. Das geht bei Tieren nicht, bei ihnen ist es immer eine einseitige Unterstützung. Mein Motto «Hilfe zur Selbsthilfe» gilt in der Voliere also der Organisation, nicht den einzelnen Vögeln.

Sie sind diplomierte Unternehmensführerin: Ist die Voliere ein Unternehmen? 
Man muss die Voliere wie ein Unternehmen führen. Einziger Unterschied: Wir sind als non-profit Organisation steuerbefreit. Alles andere ist wie ein normales Unternehmen oder genau gesagt, ein Verein mit Mitarbeitern mit allen Vorschriften.

Sie haben Kulturanlässe organisiert, waren im Vorstand des Fachverbands Metallbau ZH/SH , im OK des Wienachtsmärt Meilen und führen zusammen mit Ihrem Mann die Burgschlosserei in Meilen: Sind Sie eine Frau, die zum Anpacken geboren ist?
Ich packe gerne Herausforderungen an, ich gehe Schwierigkeiten nicht aus dem Weg. Wichtig ist mir das Vertrauen im Team. Das stimmt hier in der Voliere hundertprozentig. Ich bin ein Organisationstalent. Meine Schwäche ist, dass alles perfekt sein muss. Ich wäre weiter gekommen und mein Leben wäre leichter, wenn ich es manchmal nicht perfekt haben wollte. Loslassen können ist also nicht meine Stärke.

In anderen Bereichen sind Sie eine Frau fürs Grobe: Metallbau, Rockmusik, schwere Töff. Sind verletzliche Tiere wie Vögel die andere Seite Ihrer Seele?
Nein, ich spüre Empathie für alle Lebewesen. Sie ist das Motiv, warum ich etwas mache. Wer verletzt ist und Hilfe braucht, dort engagiere ich mich sofort und uneingeschränkt.

Was bedeutet Ihnen die Voliere?
Hier habe ich spannende und engagierte Menschen kennengelernt. Für mich ist die Voliere wie früher bei der Betreuung von Asylbewerbern eine Frage der Teamarbeit. Ein Ort mehr, an dem man zusammen etwas Gutes und Wichtiges bewirken kann. Da ist Herzblut im Spiel. Sachen, bei denen kein Herzblut fliesst, muss ich rasch wieder sein lassen.

Was bedeutet die Voliere Mythenquai für Zürich?
Viele wissen nicht, dass wir auch eine Wildvogel-Pflegestation sind. Man muss sich mal überlegen: Wohin sollten die jährlich rund 2000 Vögel gebracht werden, wenn nicht zu uns? Ausserdem pflegen und hegen wir Vögel, die man in der Schweiz nur bei uns sieht, wenn nicht sogar europaweit, wie etwa der Weissbürzel-Lori. Wir betreiben Arterhaltung mit Zuchtprogrammen.

Was erwarten Sie vom Tag der offenen Türe in der Voliere am nächsten Samstag?
Ich hoffe, dass möglichst viele Vogelpatenschaften als Weihnachtsgeschenk abgeschlossen werden. Und ich freue mich auf die Vorträge. Es geht diesmal um Vogelberingung, Papageienhaltung, die Geschichten der «Volierebewohner» und ein Kantonspolizist erzählt über absichtlich vergiftete Greifvögel.