Ein Artikel aus der Tierwelt / 33 vom 19.08.2011

In der Voliere am Mythenquai in Zürich leben exotische Vögel in schön bepflanzten Innen- und Aussenvolieren. Die Voliere nimmt auch Ferienvögel auf und verfügt sogar über eine „Vogelklappe“.

Leise Töne zwitschern im Pflanzendickicht, farbige Vogelköpfchen aus Nistkästen, Amerikanische Stelzenläufer marschieren erhaben auf dem Sandboden. Das Vogelhaus in Zürich leuchtet hell und ist mit schön bepflanzten Lebensräumen für farbige Exoten ausgestattet. Ein öffentlich zugängliches, warmes Vogelhaus in der Stadt Zürich direkt am See und erst noch kostenlos: Das ist die historische Voliere am Mythenquai 1. Vom Trambahnhof.
Enge aus ist sie in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar.
Das Schwergewicht liegt auf der Haltung von exotischen Weichfressern, die selten von privaten Liebhabern gehalten und gezüchtet werden. Grün leuchtet zum Beispiel das Gefieder des asiatischen Smaragd-Breitrachens aus dem Geäst eines Ficusbaumes, wie ein Stück Plüsch, das hängen blieb. Oder ein Türkisnaschvogel aus Lateinamerika, er hüpft durch das Geäst. Leider handelt es sich bei beiden Arten um Einzelvögel, die kaum noch mit Artgenossen vergesellschaftet werden können, da diese Arten in der Vogelhaltung selten geworden sind und keine Wildfänge mehr eingeführt werden.
Die Situation bei den Amerikanischen Stelzenläufern und bei den aus asiatischen Regenwäldern stammenden Strausswachteln ist wesentlich glücklicher. In getrennten Volieren ziehen beide Arten Junge auf. Auch der Anblick der Dottertukane stimmt hoffnungsvoll, denn Vögel beiden Geschlechts leben in den Volieren und ziehen die Blicke der Besucher auf sich. „Ein unübliches Geschenk“, kommentiert Elisabeth Kehl, Leiterin der Voliere am Mythenquai, lächelnd. Tatsächlich wurden die beiden Tukane als unerwünschte Vögel abgegeben.

Ein buntes Vogeltreiben mitten in einer Idylle

Auch in der Voliere der Schönloris tut sich einiges. Die Schwarmvögel bewohnen eine Vitrine im Innenraum. Gerade schaut neugierig ein fast flügger Jungvogel zum Kasten heraus. Ruhig sitzen Mutter und Vater auf dem Kasten, derweil sich nebenan auf einem Zweig ein weiteres Männchen an einem faserigen Stamm der Chinesischen Hanfpalme vergnügt. Ein Schönlori nimmt mit pinselförmiger Zunge flüssigen Nektar auf, seine Hauptnahrung. Kronentokos sind Vertreter der Hornvögel Afrikas, die in Zürich eine separate Voliere bewohnen. Exotische Tauben sind gut vertreten mit den Victoria-Krontauben, der Dolchstichtaube, der Prachtfruchttaube und dem Diamanttäubchen. Rot leuchtet ein Feuerkopf-Trogon von exponierter Stelle auf einem Ast. Ist er sich etwa seines bemerkenswerten Aussehens bewusst? Lauernd wartet er auf vorbeifliegende Insekten. Nachzuchten haben sich auch bei den Grünen Kardinälen sowie bei den afrikanischen Braunrücken-Mausvögeln eingestellt.

Zwei Angestellte kümmern sich liebevoll um die Vögel

Jeweils um 6.30 Uhr kommt Marc Stähli zu den Vögeln und beginnt sogleich mit dem Füttern der Findelkinder. Der 30-Jährige arbeitet seit 2006 in der Voliere am Mythenquai. Elisabeth Kehl und er sind die einzigen Angestellten der Voliere. Das Mittagessen nehmen sie selber „fliegend“ ein, denn in erster Linie wollen die Vögel gefüttert werden.
In einem separaten Raum sperren hungrige Vögelchen zeternd ihre Schnäbelchen weit auf. Etliche von ihnen kann man erst einer Art zuweisen, wenn sie voll befiedert sind. Jetzt sitzen sie nackt und hilflos in fein ausgepolsterten Schälchen und werden mit Zophobas, Buffalos und trockenen Insekten gefüttert. Auf die Frage, wie er denn zu seiner besonderen Arbeitsstelle gekommen sein, antwortet Stähli: „Vögel waren immer mein Leben. Natürlich halte ich auch zu Hause seit meiner Kindheit Vögel. Heute sind es verschiedene Finkenarten, Goldnackenaras, Braunohr- und Weissohrsittiche sowie Schwarzköpfchen.“ Der alten Gelbnackenamazone gefällt Stählis Vogelliebe; sie klettert gellend auf seine Schulter und blickt stolz und mit eifersüchtig blitzenden Augen auf Elisabeth Kehl. „Ein Männervogel“, kommentiert sie schulterzuckend und trägt dann einen Neuzugang in ihrer Liste ein.
Vergangene Nacht hat jemand einen Vogel in die Vogelklappe gelegt. Vogelklappe?! Neben der Türe befindet sich eine Einrichtung, in der Passanten Vögel sicher deponieren können. Elisabeth Kehl oder Marc Stähli entnehmen am anderen Morgen die Vögel und pflegen und füttern sie. Meistens sind es Jungvögel, die abgegeben werden; praktisch jede Nacht vom Frühling bis in den Sommer. „Wir ziehen sie bis zur Selbständigkeit auf und wildern sie in einer eigenen Station am Hirzel wieder aus“, sagt Elisabeth Kehl. Sogar eine Rauchschwalbe sitzt in einem Käfig und wird von den beiden Angestellten liebevoll umsorgt. „Oft hat es einen Grund, warum ein Jungvogel aus dem Nest fällt“, sagt Elisabeth Kehl und erklärt, dass es ausserordentlich kompliziert sei, einheimische Wildvögel aufzuziehen. „Dank unserer Hilfe überleben rund 50 Prozent der Pfleglinge.“
Wie viele Jungvögel kommen denn Jahr für Jahr in die Voliere am Mythenquai? „Bis Ende Juni 2011 waren es 930 Exemplare. Alleine im Mai kamen 457 Jungvögel. Ende Juni hatten wir 230 Vögel mehr als im Vorjahr“, sagt die Vogelpflegerin. Ihre Arbeit spricht sich mehr und mehr herum. So ist man froh, dass die gefiederten Freunde am Mythenquai professionelle Betreuung erfahren.
Elisabeth Kehl, ursprünglich Grafikerin, sattelte erst später zur Vogelpflegerin um. Sie half einst in der Voliere aus und schloss Freundschaft mit den Vögeln. Sie ist begeistert von ihrer Aufgabe und von der vielfältigen Vogelwelt. Als Präsidentin der Voliere-Gesellschaft Zürich ist sie auch sehr um das Fortbestehen der Einrichtung bemüht. „Die Pensionsgelder für Vögel, die wir während den Ferien ihrer Besitzer pflegen, sind die einzigen direkten Einnahmen, die wir haben“, sagt sie.  In den Sommerferien ist die Pension voll. Vom Wellensittich bis zur Gelbstirnamazone sind verschiedenste Pfleglinge da. Die meisten verbringen seit vielen Jahren die Zeit während der Ferienabwesenheit ihrer Besitzer am Mythenquai.

Aus Rücksicht auf die Vögel bleibt die Voliere über Mittag geschlossen

In unmittelbarer Nähe der Voliere schlagen sachte kleine Wellen des Zürichsees ans Ufer, während unzählige Menschen auf der Wiese vor dem altehrwürdigen Volierengebäude liegen und den Sommer geniessen. Das ist den farbigen Distelfinken egal. Sie fliegen durch ihre attraktiv bepflanzte Aussenvoliere. Sollte ihnen das Treiben draussen doch zu bunt werden, können sie jederzeit den Innenraum aufsuchen. Innen- und Aussenvolieren sind mit etwa fünf Metern Höhe sehr hoch, was dem Sicherheitsbedürfnis der Vögel nachkommt. Das Dach der Innenvoliere ist lichtdurchlässig, sodass die Gehege optimal durch Tageslicht beleuchtet werden. Darum gedeihen auch vielerlei Pflanzen.
Von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr können Besucher im Innenraum in eine farbige, friedvolle, exotische Welt der Vögel eintauchen. Über Mittag bleibt aus Rücksicht auf die Vögel die Besucherhalle geschlossen. In dieser Zeit ziehen sich die Vögel gerne in die Innenvoliere zurück, um zu dösen.

Text: Lars Lepperhoff